{…das süße Nichtstun, la dolce far niente…}
Immer her mit dem süßen Leben. Aber können wir Deutsche das überhaupt?
Die Turmuhr auf der Piazza zeigt kurz nach 17Uhr. Es ist ein ganz normaler Dienstag irgendwo in Italien. Zu keiner Uhrzeit spürt man mehr den kulturellen Unterschied zwischen Italienern und Deutschen, als zwischen 17.30 und 20 Uhr.
Ich sitze vor einer kleinen Bar auf einem klebrigen Plastikstuhl, vor mir ein Negroni und mir wird bewusst, was sich der Deutsche dringend von seinen italienischen Freunden abschauen sollte. La dolce far niente. Runterkommen. Die kultivierte Faulheit zelebrieren.
Kopf aus, Leben an.
Haben alle schon gehört, klingt abgedroschen, ist aber dennoch wahr.
Die Deutschen sind in dieser Disziplien völlige Nieten. Wir haben das nie gelernt. Wir können das nicht!
Der Deutsche beendet seinen Arbeitstag damit sein perfektes Image zu pflegen. Immer gewissenhaft, immer ordentlich, immer korrekt. Das gilt natürlich auch für die Buchshecke, die nach Feierabend noch unbedingt getrimmt und für den Rasen, der noch gemäht werden muss. Gerne auch noch im weißen Hemd, dafür aber mit Bergsteiger-Überlebenssandalen und Socken am Fuß. Was sollen denn sonst die Nachbarn denken?
Und während der Deutsche sich kasteit, dass die Fassade des Eigenheims einen makellosen Eindruck macht, stellt der Italiener zwei Klappstühle auf den von Piniennadeln übersäten Bordstein direkt an seine bröckelnde Hauswand und tauscht mit dem Nachbarn bei einem Aperitivo die neusten Geschichten aus dem Dorf aus. Immer mehr Klappstühle ergänzen die Reihe. Auf ihnen nehmen Menschen jeden Alters Platz, die sich des Lebens freuen und das far niente genießen.
An meinem Tisch läuft ein deutsches Paar im mittleren Alter vorbei und schwärmt in lauten Tönen: „Diese unsauber verputzten Wände, dieser rustikale Chic… Ist das nicht charmant?“
Und genau dieses Paar, wird bei der Rückkehr nach Deutschland erst einmal den Löwenzahn aus dem Rollrasen stechen und einen kleinen Riss in der Hauswand zuspachteln, um dann kurz darauf an einem perfekt gedeckten Tisch Platz zunehmen. In der Mitte steht die getöpferte Tonschale aus dem Italienurlaub. Zumindest in den ersten Tagen nach der Rückkehr. Danach wandert sie in den Schrank und dient, wenn es gut läuft, noch als Salatschale, wenn man mal bei irgendjemand eingeladen ist und etwas zum Buffet beisteuern muss.
Manchmal kommt es mir so vor, als hätten die Italiener die Prokrastination erfunden. Dinge einfach mal entspannter angehen. Sich das Leben leichter machen.
Man muss keine Studien lesen, um sich als Deutscher zu reflektieren und sich eingestehen, dass das Sicherheitsbedürfnis hierzulande weitaus höher ist als in den südlichen Ländern.
Der Deutsche plant, schaut voraus, hat ein genaues Zeitmanagement. Die nächsten drei Tage werden in der Regel vom Deutschen schon vorausgeplant, sonst droht der völlige Kontrollverlust. Selbst der Speiseplan steht manchmal schon, schließlich muss auch der Einkauf genau geregelt sein. All das sind Mechanismen, die Sicherheit vermitteln. Der Italiener, oder allgemein gesprochen: der Südländer, hat ein weitaus niedrigeres Bedürfnis nach Unsicherheitsvermeidung. Getreu dem Motto: Wird schon! Natürlich birgt das Risiken, aber es hält eben auch viel Platz für Freiheit und Wohlfühlen parat.
Der Deutsche hat immer irgendetwas zu erledigen. Ist er nicht mächtig beschäftigt und gestresst, suggeriert das Faulheit. Ich habe mir mal spaßeshalber aufgeschrieben, wie viele meiner Freunde auf die Frage: „Wie geht es Dir?“ mit „Ich hab so viel zu tun, aber es geht mir gut!“ antworten.
Bei 8 von 10 kam genau diese Antwort. Ob es denen dabei wirklich gut geht? Keine Ahnung.
Wer um 17.30 Uhr in Deutschland sich direkt nach Feierabend mit Freunden trifft, nennt das After-Work. Ein Begriff der sich hier fest in die Feierabendkultur eingebrannt hat. Mit dem einen kleinen „Fehler“: auch hier steckt das Wort WORK drin. Nicht selten sitzen sich Freunde oder Kollegen an einem Tisch gegenüber, vor ihnen ein Glas Bier, Wein oder Sonstiges und beantworten mit aufgeklappten Laptops noch ein paar Emails. Happy Feierabend!
Einfach mal Loslassen und die Excel-Tabellen aus dem Kopf streichen.
Neben der Einstellung der Deutschen zum „Dolce far niente“ kommt allerdings auch noch die Barkultur mit ins Spiel. Während hier auf der Piazza ein Aperol Spritz 3,20 Euro kostet (in größeren Städten mag das natürlich auch hochpreisiger sein) und mit einer ganzen Armada an Snacks und Knabberwaren an den Tisch gebracht wird, ruft der Deutsche Wirt lockere 6,50 Euro auf, schließlich schwimmt im Glas noch ein Minzzweig und eine halbe Orangenscheibe.
Man könnte fast meinen, dass die italienische Regierung das leicht beschwipste Entfliehen aus dem Alltag in den frühen Abendstunden subvensioniert.
Eventuell hält das ja auch die Bevölkerung ab ihre Häuser zu renovieren, um diesen charmanten rustikalen Look der Städte und Dörfer nicht zu gefährden. Nun, das ist wohl eher eine abstruse Vermutung…
Ich gestehe ja, ich bin nicht besser, als die anderen. Während ich hier sitze und das sanfte Rauschen des südlichen Lebens bei meinem Glas Negroni und einem Teller Antipasti genieße, weiß ich genau, dass ich ebenso wie alle anderen Gefahr laufe mich in Deutschland wieder dem allgemeinen Trott und der Geschäftigkeit anzupassen.
Deshalb hat mein Telefon jetzt eine neue Einstellung bekommen:
Pünktlich um 17.30 Uhr klingelt von montags bis freitags mein Handywecker und ein dickes „FAR NIENTE“ leuchtet auf dem Display. Ob ich dann immer gleich an den Barschrank stürze, um mir einen alkoholischen Drink zu gönnen, weiß ich ehrlich gesagt nicht, aber ich werde die Füße hochlegen und einfach mal nichts tun.
Macht Ihr mit?
Zur Unterstüzung des „La dolce far niente“ habe ich hier noch das Rezept für den Negroni, der das Ganze so richtig authentisch macht. Und wer gerne dazu etwas Caponata genießen möchte, findet das Rezept dazu hier.
- 3 cl Dry Gin
- 3 cl Roter Wermut
- 3 cl Campari
- 1 Orangenzelte
- Eiswürfel
- Gin, Wermut und Campari zu gleichen Teilen in einen Tumbler mit einigen Eiswürfeln gießen.
- Mit einer Orangenzelte servieren.
Auf das Leben! Genießt es!
Eure